Mit der großen Liebe nach Amerika
Vor 150 Jahren wanderten die Sydows nach Michigan aus, weil die Eltern die Heirat mit einem mittellosen Mädchen verboten.

Im Stammbaum des Friedrich C. Buchhorn, der von Württemberg nach Michigan auswanderte, gibt es eine Frieda Marie Wurst, die am 08. September 1923 einen Carl Paul Sydow heiratete. Dieser Carl Paul Sydow ist ein Sohn des Johann G. Sydow und seiner Ehefrau Wilhelmine J. Ewald, die laut des nachfolgenden Berichts, aus Liebe nach Michigan auswanderten.


Die Sydows in Michigan

Vor der eigenen Farm in Michigan: 13 Kinder hatte die Auswandererfamilie Sydow aus Welsow.
Das Foto schickten sie an ihre Verwandten in die Uckermark. Hier wird es heute noch streng gehütet.

Weil ihre Liebe nicht von den Eltern akzeptiert wurde, wanderten sie nach Amerika aus. Diese Geschichte zweier Uckermärker passierte vor 150 Jahren. Aus der gemeinsamen Ehe entsprangen 13 Kinder. Jetzt forschen die Nachfahren der Familie Sydow berderseits des Atlantiks.
Die alten Bauern der Uckermark hatten ihren eigenen Stand und ihren Eigensinn. Wer nicht mindestens genauso viel Acker mit in die Ehe brachte, durfte sich seine Braut woanders suchen. Die Väter vererbten die mühsam aufgebauten Höfe an die Söhne und die wieder an ihre Kinder. Auf diese Weise sollte der Wohlstand vermehrt werden.
Nur der Urgroßonkel von Eberhard Sydow aus Welsow hatte seinen eigenen Kopf. Und der wurde ihm von einem mittellosen jungen Mädchen aus Frauenhagen verdreht. Die Liebe der beiden sollte keinesfalls in eine Heirat ausarten, entschieden die alten Sydows, eingesessene Bauern mit viel Land. "Ich heirate sie doch", soll der aufsässige Sohn verkündet haben. Sparte sich 300 Taler und wanderte gemeinsam mit seiner neuen Frau nach Amerika aus.
Die Geschichte ereignete sich tatsächlich. Vermutlich um das Jahr 1844. Damals packten viele Menschen aus der Region um Angermünde ihre Habseligkeiten zusammen, verkauften Grund und Boden und segelten über den großen teich nach Amerika. Es waren keine Abenteurer oder Steuerflüchtlinge. Es waren meist ganz normale Leute, die entweder ihre Familie nicht ernähren konnten, ihre Hoffnung in der Ferne suchten oder als Anhänger des altlutherischen hier regelrechten Repressalien ausgesetzt waren.
Eberhard Sydow hält die Kopie eines alten Fotos in den Händen. Das Original hängt noch in seinem Welsower Elternhaus, nur wenige Höfe weiter. Darauf hat sich die Auswandererfamilie vor ihrer neuen Farm in Michigan (USA) postiert. Niemand weiß, wann das Bild entstanden ist und wie es in die Uckermark kam. "Wir sind immer durch und durch Bauern gewesen", sagt Sydow mit Stolz in der Stimme. Und auch die Amerika Auswanderer taten genau das, was sie konnten: Sie nahmen einen Ochsen, rodeten Wald und gründeten eine Landwirtschaft.
Der Boden schien genug Nahrung zu geben. Denn aus der Ehe gingen 13 Kinder hervor, sechs Mädchen und sieben Jungs. Beim Brandroden kam eines der Töchter um.
Die Söhne William und Robert - deutsche Auswanderer blieben häufig bis in die heutige Zeit bei typische deutschen Vornamen - führten den väterlichen Hof weiter. Über Generationen hinweg hielten die Sydows in Michigan den Kontakt aufrecht. Man schickte Briefe, Fotografien. Noch im Zweiten Weltkrieg sandte einer der Auswanderer-Enkel einen Katalog mit Landmaschinen-Technik nach Deutschland. Sydow LandhandelEr hatte inzwischen eine eigene Fabrik gegründet. Und einer der Urenkel war als Soldat der Alliierten in den 50er Jahren in Westdeutschland stationiert. "Nach 1945 bekamen meine Eltern Pakete aus den Vereinigten Staaten", erzählt Eberhard Sydow. Der 79-Jährige erinnert sich noch genau an seine erste Lederjacke.
Doch dann riss der Kontakt ab. Weil die Sydows zu den reichen Bauern zählten, wurden sie von den neuen Machthabern im Dorf beschimpft und drangsaliert. Vater Hermann kam ohne jegliches Urteil durch die Sowjetische Administration in Haft und verhungerte im September 1945 im berüchtigten Lager Fünfeichen.
Die Mutter hatte Angst und vernichtete die Briefe aus Amerika. Jetzt hütet Eberhard die Fotokopien der alten Bilder wie seinen Augapfel. Er liest Kriegserinnerungen und Flüchtlingsschicksale. um den Kontakt wiederaufzunehmen, müsste er vielleicht nach Michigan reisen. Das war in den 40 DDR-Jahren völlig undenkbar.
Doch vielleicht steht irgendwann auch ein Amerikaner gleichen Namens vor seiner Haustür. Denn in den Vereinigten Staaten nimmt die Ahnenforschung zu. Die Nachfahren der Auswanderer wollen mehr über ihre eigene Herkunft, die europäische Vergangenheit, wissen. Anfragen im Internet, in Kirchenarchiven und Museen häufen sich. Die meist gestellte Frage lautet: Warum sind sie damals ausgewandert? In den meisten Fällen waren es wirtschaftliche oder soziale Gründe. In den wenigsten Fällen war es die Liebe zwischen einem reichen Bauernsohn und einem armen Mädchen.

Der Bericht erschien im "Uckermark Anzeiger". Erstellt wurde der Bericht von Oliver Schwers.





Wolfgang Buchhorn 24.12.2020