Ihre Koffer packten vor mehr als 150 Jahren viele Uckermärker. Sie verkauften Hab und Gut und suchten ihr Glück in der weiten Welt und wurden sesshaft in Amerika und Australien. Doch ihre Kultur haben sie auch dort nie vergessen. Heute suchen Ihre Nachfahren die Familienwurzeln.
Voller Entbehrung waren die Überfahrten. Auf den Schiffen, die an den Nordseehäfen ablegten, drängten sich Menschen aus Preußen. Als Auswanderer hatten sie Haus und Hof verkauft, ihren Besitz versilbert. Mitte des 19. Jahrhunderts brachen sie auf, um ein vollkommen neues Leben in Amerika oder Australien zu beginnen. Den größten Teil der brandenburgischen Auswanderer stellten die uckermärkischen Familien. Von 1852 bis 1858 sollen allein 4586 Menschen die Region verlassen haben. Rund die Hälfte kam aus dem Altkreis Prenzlau.
Bis heute blieben die Passagierlisten der großen Schiffe erhalten. Sie sind oft die einzige Grundlage für die Nachforschungen vieler Australier oder Amerikaner nach ihren deutschen Vorfahren. Das Interesse an der alten Heimat steigt. Museen, Archive und Kirchgemeinden müssen immer häufiger Anfragen aus Übersee beantworten. Die wollen wissen, warum die Uckermärker das Land verließen. Politische, wirtschaftliche und vor allem religiöse Gründe gaben den Ausschlag. Die Nachwehen der napoleonischen Fremdherrschaft trieben vor allem Bauern in den Ruin. Um Zwangslasten bezahlen zu können, hatten sie Anleihen aufgenommen. Ein Wandel in der Landwirtschaft, teilweise Ernährungsnöte, aber auch Krankheiten wie die Cholera, schürten den Auswanderungswillen. Hinzu kam die damals übliche hohe Kinderzahl. Wollte ein Bauer seinen Hof retten, durfte er ihn nicht teilen und übergab ihn meist dem ältesten Sohn. Die anderen Kinder mussten sich eigene Existenzen aufbauen.
Der wohl am häufigsten angeführte Auswanderungsgrund war eine scharfe religiöse Auseinandersetzung. Die gerade in der Uckermark stark gewordenen Altlutheraner sahen sich einem heftigen Druck ausgesetzt. So folgten ganze Familien ihrem Pfarrer, um in Australien oder Amerika eigene Gemeinden zu gründen. Rund 40 Angermünder Familien verließen im Jahr 1843 die Stadt. Sie folgten dem früheren Rektor Ehrenström aus Meseritz, der die Gegend bereiste. Zu den in Angermünde abgehaltenen Erbauungsstunden gesellten sich viele Anhänger aus Frauenhagen, Günterberg, Greiffenberg, Welsow und weiteren Orten. Ehrenström wurde zwar wegen Staatsbeleidigung in Hamburg in Haft gesetzt, konnte dann aber den einheimischen Auswanderern ein Jahr später nach Amerika folgen. Eine Überfahrt soll amals zwischen 590 und 100 Taler gekostet haben. Zu Pfingsten 1843 starteten die ersten Uckermärker aus den Dörfern Wallmow, Bergholz und Nipperwiese auf Segelbooten über den Inlandskanal nach Hamburg. Doch wurden sie aufgehalten, weil angeblich die Ausreisepapiere nicht stimmten. 45 Auswanderer mussten umkehren. Die Überfahrt dauerte 58 Tage. Insgesamt sollen 1600 Menschen altlutherischen Glaubens aus der Uckermark noch bis zum Jahresende in New York gelandet sein. Hier ging die Reise weiter in kaum besiedelte ländliche Gebiete. Die Uckermärker grüneten die Siedlungen Martinsville am Erie-See und Neu Bergholz. Eine regelrechte Massenflucht erlebte das Dorf Wallmow in der Norduckermark. Die Siedlungswilligen gründeten später Neu-Wallmow. 1860 entschlossen sich alle Bewohner des Dorfes Mellin (zwischen Parlow und Glambeck), auf den Treck zu gehen. Seitdem erinnert nur noch ein Gedenkkreuz an den Ort. Die Siedler suchten sich Land, bauten Fachwerkhäuser, wie sie es aus der Heimat kannten, brachten Handwerk und Traditionen mit. Sie gründeten Blasmusikgruppen und Kirchen. Die meisten gibt es heute noch. Über mehrere Generationen konnten sich sogar das Ückermärkische Platt erhalten. Man schrieb Briefe nach Brandenburg und löste weitere Auswanderungswellen aus. Gleich drei Familien mit Namen Rehwaldt verließen 1843 Günterberg. Sie siedelten in Ohio. Die heutigen Nachfahren ermittelten, dass allein diese Auswanderergruppe rund 160 zurzeit lebende Nachkommen hat. Mit dem Segler Susanne Godeffroy stachen am 22. September 1863 viele Familien aus Greiffenberg, Günterberg, Stegelitz, Metzelthin, Wilmersdorf und Groß Fredenwalde in See. Nach mehr als 18 Wochen erreichten sie Australien. 22 Familien aus der Uckermark gründeten später in Queensland die Bethanien-Gemeinde. Deren altlutherische Kirche steht heute noch. Acht Familien stammten ursprünglich aus Günterberg. Der elfjährige Sohn Carl des Maurers Andreas Holzheimer hinterließ dabei eine Reisebeschreibung. Daraus geht hervor, dass die deutschen Auswanderer meist zusammenblieben und später untereinander heirateten. Während der Überfahrt kam sogar ein Kind zur Welt. Prenzlauer Siedler gründeten in Australien en ebenfalls noch existierenden Ort Prenzlau. Inzwischen gibt es Bestrebungen, Verbindung aufzunehmen. Neben den Passagierlisten tauchten in den vergangenen Jahren auch alte Fotos, deutsche Zeitungen der Aussiedler und historische Familienbeschreibungen in Buchform auf. Aus ihnen geht hervor, wie lange noch Bräuche und Sitten, Sprache und Literatur, Bauformen, Landbewirtschaftung und Kultur aus der alten Heimat überdauerten.
Einem der ersten Siedler im australischen Bethania - Johann Andreas Holzheimer - ist bis heute eine Straße gewidmet. An gleicher Stelle lebt immer noch einer der uckermärkischen Nachfahren.
Der Bericht erschien im "Uckermark Anzeiger" am 5./6. April 2008. Erstellt wurde der Bericht von Oliver Schwers.
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