Vom Leben und Sterben am Waterberg
Von Otto Pfingsten


Namibia
Ein Ochsenwagen steht vor dem Waterberg. Anfang des 20.Jahrhunderts scheiterte der Traum deutscher Siedler vom Kolonialreich im heutigen Namibia.

"Hart wie Kameldornholz ist unser Land
und trocken sind seine Riviere.
Die Klippen, sie sind von der Sonne verbrannt,
und scheu sind im Busche die Tiere ..."

So beginnt das Lied der Deutschen in Namibia. Es beschreibt ihre afrikanische Heimat: ein Land der Wüsten, von Sonne und Dürre geprägt. Die meisten Bäche (Riviere) versanden.
So ist es nicht verwunderlich, dass dieses Land - mit Ausnahme weniger Buschmänner - erst relativ spät von Menschen besiedelt wurde. Anfang des 19. Jahrhunderts kamen sie: von Südafrika waren es die Stämme der Namas (Hottentotten) mit ihren Viehherden, von Norden die Nomadenstämme der Hereros.
In der Mitte des Landes, etwa dort, wo heute die Hauptstadt Windhoek liegt, trafen sie aufeinander. Es kam zu blutigen Kämpfen. Auch die den Frieden predigenden wenigen Missionare konnten dagegen kaum etwas ausrichten.
Etwa eine Generation nach den Missionaren erscheint im Land eine neue Gruppe von Deutschen: Es sind Kaufleute und in ihrem Gefolge dann auch Soldaten. 1883 war der Bremer Tabakhändler Adolf Lüderitz in der später nach ihm benannten Bucht gelandet; er wurde von den rivalisierenden Gruppen des Landes zunächst begeistert empfangen. Vor allem Gewehre waren gefragt, aber auch Tabak, Alkohol und westliche Kleidung wurden die deutschen Händler reißend los.
Immer größer wurden die Geschäfte, aber auch die zum Schutz der Waren abgestellten Polizeieinheiten. 1895 hatte die kaiserliche Schutztruppe eine Stärke von 400 Mann.
Mit zu den ersten Kaufleuten gehört der Braunschweiger Fritz Wecke. Zusammen mit den aus Meerdorf im heutigen Kreis Peine stammenden Brüdern Albert und Gustav Voigts gründet er 1892 das Handelshaus "Wecke und Voigts" - eine Warenhauskette, die zu einer der größten Firmen Namibias wurde.
1899 brechen auch die Freunde August Klußmann und Gustav Sonnenberg aus Stederdorf bei Peine nach "Deutsch-Südwest" auf. Auch ihnen, als nachgeborenen Söhnen eines Kothsassen und Gastwirts war es in der Heimat zu eng geworden: In der jungen Kolonie wollten sie ihr Glück suchen.
Zunächst scheint es sich auch einzustellen. Die Geschäfte laufen hervorragend. Gustav Sonnenberg holt 1903 seine Braut, die Wendeburger Kaufmannstochter Else Täger nach. Am Waterberg, wo der Missionar Wilhelm Eich 1891 die zerstörte Kirche wieder in Stand gesetzt und ein Pfarrhaus gebaut hatte, eröffnen sie einen Kolonialwarenladen.
Die Beziehungen zu den Hereros sind gut und die Umsätze ausgezeichnet. 1903 wird der Sohn Werner Sonnenberg geboren.
Aber inzwischen haben sich drohende Gewitterwolken zusammengezogen. Die in immer größerer Zahl ins Land strömenden Händler hatten von den Hereros Land erworben und ihren Besitz mit Zäunen umgeben. Zwei Kulturen stießen damit aufeinander: Für Hereros war Land im Grunde ebenso wenig käuflich wie die Sterne und das Meer. Von den Zäunen oder Verbotsschildern ließen sich die Nomaden mit ihren Viehherden nicht aufhalten. Der Konflikt war vorauszusehen.
Nein, eigentlich gewollt hatte das, was dann kam, aber keiner. Zumindest nicht die verantwortlichen Akteure auf beiden Seiten. Gouverneur Theodor Leutwein hatte sich stets für ein friedliches Miteinander der Volksgruppen eingesetzt, und Oberhäuptling Samuel Maharero, der Kapitän der Hereros, bewunderte die Deutschen. Aber offensichtlich waren beide nicht stark genug, um die Katastrophe zu verhindern.

Das Siedler-Ehepaar Gustav
und Else Sonnenberg aus
Meerdorf und Wendeburg bei
Peine um 1902.
Gustav und Else SonnenbergSamuel MahareroSamuel Maharero war Häuptling
der Hereros zur Zeit ihres
Aufstands gegen die deutsche
Klonialmacht 1904.

Im Januar 1904 erheben sich die Hereros
Vergeblich hatten die Missionare ihre Schützlinge gebeten, nicht zu unkontrolliert von den Deutschen zu kaufen. Und vergeblich hatten sie auch die Herero-Häuptlinge gebeten, kein Land an die Händler abzutreten. Und schließlich hatten sie auch vergeblich die Kolonialverwaltung gebeten, Reservate für die Hereros einzurichten.
Mitte Januar 1904 erheben sich die Hereros. Innerhalb weniger Tage werden über 100 Deutsche ermordet. Die Antwort ist hart - und die sich monatelang hinziehenden Kämpfe werden immer grausamer.
Ursprünglich hatten die meisten Deutschen ein positives Bild von den "Negern" oder "Mohren", wie man sie damals nannte. Schon im frühen Mittelalter war der schwarz-afrikanische Heilige S. Moritz (Mauritius) Patron des Magdeburger Doms geworden. Im 18. Jahrhundert konnte der in Braunschweiger Diensten stehende Mohr Amo sogar Professor an der Universität Wittenberg werden. Und 100 Jahre später zeichneten Schriftsteller wie Harriet Beecher-Strone ("Onkel Toms Hütte", deutsch 1852) und Karl May das Bild des edlen Eingeborenen.
Auch Else Sonnenberg hatte als junges Mädchen wohl diesen Traum vor Augen gehabt: in einem wunderschönen Land zusammen mit den Einheimischen ein friedliches Gemeinwesen zu schaffen.
Dieser Traum zerplatzt nun wie eine Seifenblase. Bezeichnend dafür ist die Sprache, mit der die "Braunschweiger Landeszeitung" das Geschehen in der fernen Kolonie schildert. Zu Beginn des Aufstands wird noch relativ sachlich davon gesprochen, dass die Hereros ("ein kräftiger Volksstamm von 30 000 bis 40 000 Köpfen") tapfer zu kämpfen wissen. Aber dann wird die Sprache immer schriller, rassistisch und schließlich menschenverachtend.
Bereits am 19. Januar 1904 ist zu lesen: "Es kann kein anderes Auskunftsmittel mehr geben, als die Niederwerfung der Aufständischen mit aller Rücksichtslosigkeit, die den unzivilisierten Volksstämmen allen Respekt und Gehorsam abzunötigen imstande ist." Am 22. Februar ist von einer "blutrünstige Negerhorde" die Rede, die mit der "Bestialität von Halbwilden" (13. März) grauenhaft wütet. Fast alle Gräuelerzählungen erweisen sich später als maßlos übertrieben. Sie haben aber das Bild des "Negers" geprägt und sich tief in das kollektive Unbewusste der Deutschen eingebrannt.
Umso erstaunlicher ist das Verhalten von Else Sonneberg. Sie hätte allen Grund gehabt, voll Groll über die Hereros zu berichten. Schließlich war es der eigene Diener Ludwig gewesen, der ihren Mann erschlagen hatte. Sie selbst hatte mit ihrem Kind zunächst Zuflucht gefunden bei Missionar Eich. Erst nach fast dreimonatiger Gefangenschaft wird ihr gestattet, mit ihm zu ihren Landsleuten nach Okahandja bzw. Windhuk zu ziehen.

"Die Treuen leiden, ob sie schwarz oder weiß sind"
Ende 1904 trifft Else Sonnenberg als junge Witwe mit ihrem kleinen Sohn wieder in Deutschland ein. Ihre Erlebnisse veröffentlicht sie 1905 in dem Buch "Wie es am Waterberg zuging". Nicht von Rache oder Abscheu vor den Taten der Hereros ist hier die Rede. Else Sonnenberg hat sich neben ihrer verständlichen Trauer die schönen Bilder Afrikas nicht rauben lassen.
Als eine der wenigen Zeitzeugen hat sie differenziert über den Krieg berichtet: Ihr war bewusst, dass gerade Unschuldige gelitten haben: "Die Treuen müssen leiden um der Sünden der Ungetreuen, ob sie schwarz oder weiß sind."
Mit ihrem Sohn Werner - er wanderte später nach Brasilien aus - ist Else Sonnenberg zurückgekehrt in ihr Elternhaus in Wendeburg. Dort durfte sie bis zu ihrem Tod 1967 in Würde alt werden.
Als bei der über 80-Jährigen das Augenlicht nachlässt, sagt sie dem Ortsheimatpfleger Otto Helms: "Ich habe so viel von der Welt gesehen, was ich in mir behalte. Das Bild bleibt - ich kann auf viel Schönes zurückblicken."


Der Wendeburger Verlag Uwe Krebs
hat vor wenigen Jahren einen ansprechenden Nachdruck von Else Sonnenbergs Buch


herausgegeben (124 Seiten/15 Euro). Parallel dazu erschien der Erläuterungsband


von Otto Pfingsten (63 Seiten, 10 Euro).

Der Bericht erschien in der Braunschweiger Zeitung am 10. April 2010.

Herzlichen Dank an den Uwe Krebs Verlag und Herrn Otto Pfingsten. Sie waren so freunlich, mir die Nutzung ihres Materials zu genehmigen.




Wolfgang Buchhorn 06.02.2011